Martin, du sagtest mal, Geburtsfisteln hängen auch mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft zusammen. Warum?
Die Wichtigkeit, welche die Gesellschaft und der Staat der Geburtshilfe beimessen, bringt die Stellung und den Wert der Frauen in dieser Gesellschaft zum Ausdruck. Wenn Dorfgemeinschaften zögern, bis sie Geld zusammenlegen, um einer Frau unter der Geburt einen Transport ins Spital zu ermöglichen – und wenn dort der Arzt dann sagt, er mache nur einen Kaiserschnitt, wenn er noch mehr Geld erhalte –, zeigt das, was das Leben einer Frau Wert ist.
Heute versucht Women’s Hope vermehrt, die gesellschaftliche Position von Frauen zu stärken. Wie geht ihr dies an?
Noemi: Dieses Vorhaben ist äusserst komplex und langwierig. Unsere Ansätze sind heute sicher vielfältiger, und wir können Themen von verschiedenen Seiten her angehen, unter anderem, weil wir mehr Mittel zur Verfügung haben. Wir legen beispielsweise einen grossen Fokus auf Sensibilisierungsarbeit, beziehen möglichst auch die Männer in unsere Arbeit ein und nehmen sie in die Verantwortung. Wir versuchen zudem, auf der strukturellen Ebene Änderungen zu erzielen.
Was heisst das genau?
Frauen zu operieren und Gesundheitsinstitutionen zu stärken, ist wichtig. Aber wir müssen auch andere Stakeholder adressieren. Die Regierung im Tschad hat beispielsweise auf dem Papier hehre Pläne, die Realität sieht ganz anders aus. Also suchen wir mit der Lokalregierung das Gespräch. Wir vereinbaren etwa, dass nicht nur wir etwas leisten, sondern auch der Staat etwas beiträgt. So nehmen wir ihn in die Verantwortung. In Afghanistan etwa sind Verhandlungen mit den lokalen Autoritäten momentan eminent wichtig. Nur so konnte die zumindest minime Freiheit ausbedungen werden, dass Frauen weiterhin im Gesundheitsbereich arbeiten dürfen.
Welche Rolle spielen die lokalen Partner dabei?
Die wichtigste überhaupt. Sie sind vor Ort, kennen den Kontext, können sich darin bewegen. Für die Nachhaltigkeit der Projekte sind sie unverzichtbar.